Studieren im Land von Tango und Luftgitarre

Postage stamp Finland 1990 University of HelsinkiStudieren in Finnland

Idyllische, vom Menschen unberührte Landschaften, eine komplizierte Sprache, ein spezieller Humor, Muster eines gelungenen Bildungssystems und nun eines der ersten Länder, das die Schreibschrift aus schulischen Lehrplänen streicht. Welche Klischees über das Land im hohen Norden bestehen den Realitätsabgleich? Wer neugierig auf die Antwort ist, sollte vor Ort suchen.

Die Mehrheit europäischer Studierender, die einen Aufenthalt im Ausland planen, zieht es nicht nach Finnland. Finnland ist offiziell „Geheimtipp“, allerdings einer, der sich herum spricht. Das Interesse an einem Aufenthalt an einer finnischen Hochschule steigt. Die meisten ausländischen Studierenden stammen bisher von deutschen Hochschulen. Mehr als 1800 Studiums- und Forschungsaufenthalte in Finnland förderte etwa der Deutsche Akademische Austauschdienst im Jahr 2013. Auf der Website des DAAD finden Interessierte die zunächst wichtigsten Informationen zum Leben und Studieren in Finnland: zu Stipendien und Einreisebedingungen etwa, die für EU-Bürger recht einfach sind. In welchem sozialen System aber findet sich der wieder, der für ein oder zwei Semester nach Finnland aufbricht? Im Folgenden ein kleiner Einblick in die Bereiche, die vor allem für Studierende wichtig sind.

Bildungswesen

Weltweit bekannt ist Finnland in der Gegenwart neben den Seen, Saunen und der Marke Nokia für sein Bildungssystem. Bei den PISA-Studien der OECD schneidet das Land mit 5,4 Millionen Einwohnern und einer Fläche fast so groß wie die Deutschlands stets sehr gut ab. Die PISA-Ergebnisse haben für manche vor allem mit der guten materiellen und personellen Ausstattung finnischer Schulen zu tun. Lernmittel sind kostenlos und auch soziale Leistungen wie ein Schulessen. Finnland gilt im Übrigen in vielen Lebensbereichen – auch bei Arbeit und Gesundheit – als Wohlfahrtsstaat. Kritischere Stimmen sehen Finnland per se im Vorteil bei internationalen Bildungsvergleichen, als Land mit kleiner und einer kulturell noch recht homogenen Bevölkerung (die Zuwanderung steigt erst in den letzten Jahren). Die Analphabetenrate ist in Finnland mit 1 Prozent sehr niedrig (zum Vergleich: In Deutschland galten 2011 fast 4 Prozent der Menschen als totale Analphabeten). Fast alle Einwohner sprechen neben den offiziellen Landessprachen Finnisch und Schwedisch auch Englisch. Und die gute Ausstattung an Hochschulen rühmen viele Austauschstudenten.

Derzeit bieten 16 Universitäten und 25 Fachhochschulen Studiengänge an. Einige Studiengänge oder bestimmte Kurse innerhalb eines Studiengangs werden in Englisch abgehalten. Die Fachhochschulen entstanden seit den 1990er Jahren nach deutschem Vorbild: Dort werden auch Personen zu einem Studium zugelassen, die zuvor eine Berufsausbildung absolviert haben. Denn nach der 9. Klasse der grundständigen Gesamtschule teilen sich die Ausbildungswege: Rund die Hälfte der Schüler besucht in der Folge das dreijährige Gymnasium, das mit dem Abitur abschließt. Die andere Hälfte entscheidet sich für eine Berufsausbildung und den Besuch einer begleitenden Berufsfachschule. Die Schulzeit beginnt für finnische Schüler in der Regel in dem Jahr, in dem sie ihr siebtes Lebensjahr vollenden.

Natur oder Kultur: beides im Überfluss

Jenseits der Unterrichtsräume nimmt Finnland auf den ersten Blick mit seinen Landschaften ein: 85 Prozent des Landes sind bewaldet, mehr als 180 000 Seen nehmen einen weiteren großen Teil der Fläche ein. Die Natur kann unbeschwerter genießen, wer im Sommersemester gen Norden zieht: Die Winter sind kalt, oft mit zweistelligen Minusgraden, die Sommer allerdings für ein so nördlich gelegenes Land recht warm. Am Samstag zwischen dem 20. und 26. Juni feiern die Finnen nachts das Mittsommerfest – mit Konzerten, Tänzen, Feuer und ja, auch dem Alkohol. Alkoholkontrollen sind jedoch häufig und Alkohol ist in Geschäften und Restaurants teuer.

Mehr als Zwei Drittel der Finnen leben im klimatisch milderen Süden des Landes. Die Hauptstadt Helsinki an der Ostsee ist kulturelles und wirtschaftliches Zentrum des Landes. Anfang Januar ging dort das Lichtfestival Lux Helsinki zu Ende: Lichtkünstler auch aus dem Ausland bescheren dem zweitdunkelsten Monat des Jahres seit zwei Jahrzehnten ein wenig mehr Helligkeit. Denn im Januar ist die Sonne im Durchschnitt nur eine Stunde zu sehen. Im September reisen viele internationale Besucher zur Design-Woche an. 2012 war Helsinki übrigens Design-Hauptstadt der Welt. Der Name des verstorbenen Künstlers Alvar Aalto steht symbolisch für Finnlands Einfluss in Fragen der Architektur und des Designs weltweit.

Mit fast 40 000 Studierenden ist Helsinkis Universität die größte des Landes: Dort kann man an zwölf Fakultäten Fächer aus Geistes- über Naturwissenschaften, bis zu Recht, Wirtschaft und Technik studieren. Doch auch jenseits Helsinkis, in Städten wie Tampere, Turku und Oulu können Austauschstudierende der Vergangenheit und Gegenwart Finnlands auf die Spur gehen: Städtische Theater, Museen und die beliebten öffentlichen Bibliotheken durchziehen das ganze Land. Die kleineren Städte sind zudem überschaubarer, ermöglichen unter Umständen schnelleren Kontakt zu Einheimischen und ein Leben zu niedrigeren Kosten.

Praktische Tipps

Die gemeinsame Währung Euro macht den Vergleich unmittelbar: Wohnungen und Lebensmittel sind in Finnland im Schnitt teurer als in Deutschland. Doch die Mieten in Studentenwohnheimen gerade kleinerer Uni-Städte liegen wiederum kaum höher als in Deutschland. Oft kann man sich schon mit der Bewerbung um einen Studienplatz um einen Wohnheimplatz bewerben. Viele der ausländischen Studierenden werden genommen und können bei Einzug ein “Survival Kit” erwerben: Bettwäsche und einige wichtige Küchenutensilien für die Zeit des Aufenthalts. Lebensmittel sind in Discountern zwar teurer als hierzulande, doch wer überlegt einkauft und kocht, lebt in Finnland letztlich billiger als etwa in Norwegen und Schweden. Die Mensa-Preise wiederum gleichen denen von deutschen Hochschulen.
Viele Hochschulen fördern den Kontakt zwischen einheimischen Studierenden und Gästen aus dem Ausland: Jeder Austausch-Student bekommt einen Tutor vor Ort zugeteilt, der sich meist schon vor Beginn des Finnlands-Aufenthalts meldet. Wenn die Chemie stimmt, kann daraus die erste tiefere Bekanntschaft entstehen. Und auf diesem Weg kommt man der Frage nach dem Wahrheitsgehalt vieler Finnland-Klischees vielleicht näher: Was ist das typisch Finnische an den extravaganten Leningrad Cowboys? Und was treibt manche Finnen in die Arme ihrer Tango-Partner und andere zur Luftgitarre?